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Predigt von Pastor Norbert Schwarz 1. Sonntag nach Trinitatis, 14. Juni 2020

„Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ – Ich weiß nicht, wie viele Paare diesen Vers als Trauspruch; wie viele Konfirmanden ihn als Konfirmationsspruch gewählt haben. ‚Gott ist Liebe‘ – das spricht uns an. Das trifft eine Sehnsucht: In der Liebe bleiben, mit der Liebe verbunden sein, das wünsche ich mir: In meiner Familie, in meinen Beziehungen, in der Gemeinde, auch in unserer Gesellschaft.

Wochenspruch

Jesus sagt: Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich (Lk 10,16).

Predigttext 1.Joh 4,16-21

16 Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. 17 Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt. 18 Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe. 19 Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. 20 Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht. 21 Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.

Predigt

Liebe Gemeinde,

„Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ – Ich weiß nicht, wie viele Paare diesen Vers als Trauspruch; wie viele Konfirmanden ihn als Konfirmationsspruch gewählt haben. ‚Gott ist Liebe‘ – das spricht uns an. Das trifft eine Sehnsucht: In der Liebe bleiben, mit der Liebe verbunden sein, das wünsche ich mir: In meiner Familie, in meinen Beziehungen, in der Gemeinde, auch in unserer Gesellschaft.

Es muss nicht die romantische Liebe sein. Achtung. Wertschätzung für den Anderen. Auch das nennt die Bibel „Liebe“. Dass ich den anderen sehen kann, wie er ist, mit dem, was er braucht. Und dass ich mich von ihm gesehen fühle, so, wie ich bin, mit dem, was ich brauche.

Wie sehr wir das brauchen, merken wir gerade dann, wenn es fehlt: Wenn Rassismus an die Stelle von Wertschätzung tritt. Nicht nur in den USA. Ein Schrei der Empörung ging in der letzten Woche durch die Welt. Über die Ermordung von Georg Floyd. Empörung auch darüber, dass einem aus dem Gesicht des Präsidenten nur kalte Verachtung entgegenblickt. Geschmückt mit einer Bibel in der Hand. Die Empörung über so viel Menschenverachtung ist ein Schrei nach Liebe. Nach Anerkennung.

Liebe täte uns gut. Sie wäre die Lösung für viele Probleme. – Doch wirbleiben nicht in der Liebe. Das wissen und spüren wir. Manchmal erleiden wir es auch: oft verletzen wir einander; fallen aus der Liebe heraus. Überall, wo Menschen zusammenleben und arbeiten, kann ich das sehen.

Und es ist kein Problem unserer Zeit. Schon die allerersten Brüder, von denen die Bibel erzählt, sind nicht in der Liebe geblieben – Kain schlug seinen Bruder tot, weil Gott Abels Opfer ansah und seines nicht.

Warum geschieht es, dass Menschen die Verbindung abbrechen, einander nicht mehr in die Augen sehen, aus der Liebe herausfallen? Warum behandeln wir einander lieblos und ohne Achtung, verletzen einander, gerade die, die uns besonders nahestehen? Warum bringen wir es so oft nicht fertig, einander wirklich zu lieben – wir scheitern nicht nur bei unseren Feinden, sondern auch bei unseren Geschwistern. Bei denen, die zu unserer eigenen Familie gehören. Das ist besonders schmerzhaft. Wie Kain Abels Bruder war und doch zu seinem Mörder wurde. Warum?

Furcht ist nicht in der Liebe, steht im 1. Johannesbrief.

Wenn das so einfach wäre. Oft schiebt sich die Furcht in die Liebe hinein, vermischt sich auf unheilvolle Weise mit ihr. Die Furcht, nicht genug geliebt zu werden. Die Furcht, mit der Liebe nicht wirklich gemeint zu sein. Die Furcht, nicht zu genügen. Die Furcht verlassen zu werden und zu scheitern. Furcht kann die Liebe vergiften. Zwischen Geschwistern, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Ehepartnern und Freunden. Furcht kann eine ganze Gesellschaft, ein ganzes Land vergiften. Angst grassiert um sich, nicht gesehen zu werden. Angst, abgehängt, vergessen zu werden. So war es schon bei Kain und Abel: „Das Opfer des anderen wird gesehen und meines nicht. Ist das nicht ungerecht?“

Furcht tut weh. Ich muss mit ihr umgehen. Mich ihr aussetzen, damit sie von der Liebe wieder eingeholt, wieder eingehüllt werden kann. Aber es tut weh, die Furcht auszuhalten. Der Schmerz erinnert daran, dass ich den anderen brauche. Er erinnert mich an meine Verletzlichkeit. Der Schmerz erinnert mich an meinen Hunger nach Liebe, und er schlägt allzu leicht um in Zorn. Kain verschiebt sein Problem. Indem er seinen Bruder tötet, schafft er den Schmerz aus der Welt: Abel weg, Furcht weg. Es gibt Menschen, die handeln ein Leben lang nach diesem Prinzip. Und schnell entwickelt sich eine heillose Dynamik von Täter und Opfer. Für Abel endet die Geschichte tödlich. Vorbereitet wird der Mord durch Ausweichen. Kain senkt seinen Blick, vermeidet den Blickkontakt. Er schaut seinen jüngeren Bruder nicht an, verweigert das Gespräch. So ist keine Begegnung auf Augenhöhe mehr möglich, die Liebe zwischen den Brüdern versiegt. Abel ist nicht mehr Bruder, sondern Bedrohung, das Verbindende verliert sein Gewicht. Es ist, als hätte die Furcht die Fäden durchgeschnitten.

Die Liebe ist ein Netz mit großen Maschen.  Auch wenn ich mich danach sehne: ich kann nicht ein Leben lang darin bleiben und darin gehalten sein. Manchmal falle ich durch die Löcher. Immer wieder werden wir Zeugen und Opfer unserer Furcht. Immer wieder spüren wir, wie wir aus der Liebe herausfallen. Was geschieht dann – wenn der Bruder nicht mehr Bruder ist, die Schwester nicht mehr Schwester? Was geschieht, wenn einer für den anderen gestorben ist?

Kain muss fliehen, aber er bekommt ein Zeichen auf die Stirn, das ihn schützt. Gott sieht Kain an; er verharmlost nicht seine Schuld, aber er schützt ihn vor ihren Folgen. Niemand darf Kains Lieblosigkeit mit Mord vergelten. Kain darf weiterleben. Es wird anders sein als bisher, aber es ist ein Leben unter Gottes Schutz und nicht das Ende.

Gottes Schutzzeichen nimmt dem Kain die Angst vor Strafe. Es lässt ihn weiterleben. Seine Schuld ist geschehen, der Bruder ist tot. Aber er kann die Verantwortung für diese Tat übernehmen, weil er unter Gottes Schutz weiterleben kann. In dem Moment, in dem er seiner Tat genauso wie Gott ins Auge blickt, ist die Schuld vergeben. Gott hat Gericht über Kain gesprochen: im Zweifel für den Angeklagten. Er soll weiterleben dürfen, anders als bisher, aber behütet. Das Netz fängt ihn auf.

Ob er daraus gelernt hat? Wir erfahren nichts davon, aber wir hoffen es: Dass Lieblosigkeit keine neue Lieblosigkeit gebiert, sondern die Liebe sich durchsetzt. Gott macht den Anfang. Er liebt zuerst.

Hoffnung, dass Liebe sich durchsetzt. Sie lenkt unseren Blick herüber von Kain zu Jesus. Jesu Geschichte ist die Liebesgeschichte Gottes mit uns, die Geschichte einer Liebe, die sich furchtlos verschenkt und hingegeben hat. Es ist die Geschichte einer Liebe, die mit mir anfängt, immer wieder, immer von neuem. Gott hat Jesus in die Welt geschickt, um mir zu zeigen: ich bin nicht alleingelassen. „Hab keine Angst, fürchte dich nicht,“ ruft er mir zu. „Nichts kann dich von meiner Liebe trennen. Darum bring sie mir, deine Angst vor dem Nächsten, deine Angst vor dem Fremden. Deine Angst vor dem Verlassenwerden und deine Angst vor dem Scheitern. Ich halte mit dir aus.“

Es gibt eine Liebe, die tiefer ist als alle Furcht. Die größer ist als alle Schuld. Sie kann zum tragenden Grund deines Lebens werden. Gottes Liebe. Jesus hat sie gelebt. Und er hat sie uns gezeigt.

„Kommt her zu mir, alle, die Ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“ sagt Jesus. In seinem Versprechen bekommt Gottes Liebe ein Gesicht. Jesus sagt das zu jedem einzelnen von uns. Als Ermutigung: Deine Angst muss dich nicht beherrschen. Du musst anderen nicht ausweichen, du kannst ihnen in die Augen blicken. In ihnen begegnest du deinem Bruder, deiner Schwester. Gottes Liebe schaut dich an durch die Augen deiner Mitmenschen.

Und so segne er uns: Gott der Vater, der alles und alle in Liebe erschaffen hat, Gott der Sohn, der sich liebend an uns verschenkt hat, und Gott der Heilige Geist, der in unseren Herzen wohnt, uns Kraft und Mut gibt unsere Furcht auszuhalten und der Liebe zu trauen. Amen.

Eine gesegnete Woche wünscht Ihnen Ihr Pastor Norbert Schwarz. Bleiben Sie behütet!