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Predigt von Pastor Norbert Schwarz 2. Sonntag nach Trinitatis, 21. Juni 2020

„Wer kommt in den Himmel?“ – Lange war das für Menschen die wichtigste Frage im Leben. „Ich bin ein Gast auf Erden und hab hier keinen Stand; der Himmel soll mir werden, das ist mein Vaterland,“ dichtete Paul Gerhardt. Besonders in Krisenzeiten stand die Sehnsucht nach dem Himmel an erster Stelle.

Predigttext: Lk 14,15-24 Das große Abendmahl

15 Da aber einer das hörte, der mit zu Tisch saß, sprach er zu Jesus: Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes! 16 Er aber sprach zu ihm: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. 17 Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist schon bereit! 18 Da fingen sie alle an, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. 19 Und ein andrer sprach: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. 20 Wieder ein andrer sprach: Ich habe eine Frau geheiratet; darum kann ich nicht kommen. 21 Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen und Verkrüppelten und Blinden und Lahmen herein. 22 Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da. 23 Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde. 24 Denn ich sage euch: Keiner der Männer, die eingeladen waren, wird mein Abendmahl schmecken.

Liebe Gemeinde!

„Wer kommt in den Himmel?“ – Lange war das für Menschen die wichtigste Frage im Leben. „Ich bin ein Gast auf Erden und hab hier keinen Stand; der Himmel soll mir werden, das ist mein Vaterland,“ dichtete Paul Gerhardt. Besonders in Krisenzeiten stand die Sehnsucht nach dem Himmel an erster Stelle. Als im Mittelalter die Pest grassierte, richtete sich der bange Blick nach oben. „Falls ich morgen sterbe: Was muss ich tun, damit ich in den Himmel komme?“ fragte man. Die Kirche erlebte einen nie dagewesenen Zustrom. Gottesdienste und Bittprozessionen schossen wie Pilze aus dem Boden. Um ihr Seelenheil zu sichern, strömten die Menschen nur so in die Kirchen. Geistlichen war es unmöglich, die übergroße Nachfrage zu bedienen.

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Wer kommt in den Himmel? – Auch dem Evangelisten Lukas brennt diese Frage unter den Nägeln. Sein energischer Sinn für Gerechtigkeit lässt ihnen seinen Blick nach oben richten. Wenn es schon hier auf Erden keine Gerechtigkeit gibt, müssen doch wenigstens im Jenseits die Benachteiligten zum Zuge kommen. Lukas erzählt die Geschichte vom armen Lazarus: Nach einem Leben im Elend darf er sich im Himmel in Abrahams Schoß wiegen. Der reiche Mann dagegen, der seine Not übersehen hat, landet in der Hölle. Dank des Himmels siegt am Ende die Gerechtigkeit und sorgt für den Ausgleich!

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Wer kommt in den Himmel? – Unter den Dingen, die Menschen heute unter den Nägeln brennen, rangiert diese Frage ziemlich weit hinten. In der Liste von Grundbedürfnissen kommt der Himmel nicht mehr vor. Das offenbart die derzeitige Krise: Viele Fragen bereiten Menschen schlaflose Nächte. „Werde ich meine Arbeit verlieren?“ „Wird das Geld bis zum Monatsende reichen?“ „Wann kann ich meine Mutter im Heim endlich wieder besuchen?“ – Die Frage nach dem jenseitigen Seelenheil gehört nicht dazu. So gesehen ist das Gleichnis vom großen Abendmahl ein Spiegel für die Rolle der Religion in der Gesellschaft heute. Diejenigen, die ins Reich Gottes geladen sind, winken ab. Sie entschuldigen sich, weil sie von dringlicheren Problemen beansprucht sind. Die materielle Grundversorgung gilt es zu gewährleisten. Der Acker muss bestellt, das Vieh muss versorgt werden. Die Familie fordert ihre Aufmerksamkeit, „darum kann ich nicht kommen.“ Nicht erst seit Corona nimmt uns das Leben im hier und jetzt vollends in Anspruch. „Den Himmel überlassen wir den Engeln und den Spatzen,“ spottete schon Heinrich Heine.

Schlechte Aussichten also für diejenigen, die für die Sache Gottes unterwegs sind, die den Blick ihrer Mitmenschen zum Himmel lenken wollen?

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Man könnte dem Gleichnis eine seelsorgerliche Seite abgewinnen. Ein Trost für alle, die sich in der Kirche engagieren und bei denen, die sie erreichen wollen, oft auf wenig Resonanz stoßen. Nicht erst seit heute ist das so: Gott lädt ein, aber seine Einladung wird nicht angenommen. Diese Erfahrung haben schon die allerersten Christen gemacht. Jesus selbst hat das erfahren. Nüchtern betrachtet, sollte man denen, die sich entschuldigen, keine Bosheit unterstellen. Sie haben plausible Gründe. Und, wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben: Auch bei mir selbst rangieren oft andere Fragen weiter vorn. Ich selbst bin oft so beschäftigt, so viele Dinge zerren an mir, dass ich Gottes Einladung überhöre.

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Interessant ist, dass die Geschichte mit Entschuldigung der geladenen Gäste nicht endet. Die Feier ist nicht abgesagt. Wie in den vergangenen Monaten so viele Feiern abgesagt werden mussten, die von langer Hand liebevoll geplant worden sind. Der Gastgeber des großen Abendmahls hat einen Plan-B. Nachdem es ihm nicht gelang, bei den zuerst Geladenen den Geschmack für den Himmel zu wecken, gibt er nicht auf. Er schickt seine Boten noch einmal los. An anderen Orten sollen sie die Einladung noch einmal publik machen. – Tatsächlich füllen sich diesmal die Tische des himmlischen Gastmahls. Bis auf den letzten Platz.

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Was ist anders bei diesem zweiten Versuch? Warum findet die Einladung jetzt Gehör? – Über diese Frage ist in der Kirchengeschichte viel diskutiert worden. Für Lukas manifestiert sich darin der Übergang des Heils zu den Heiden. Die Pharisäer haben Jesus abgelehnt. Von Menschen, die von außerhalb Israels kommen, wird seine Botschaft auf-genommen. Im Mittelalter wurde dieses Gleichnis zum Ausgangspunkt genommen für ein problematisches Verständnis von Mission: Weil die Botschafter dazu aufgefordert werden, andere zu nötigen, ins Haus des Herrn zu kommen, meinte man, man solle Menschen notfalls mit dem Schwert zum Glauben bringen. Dagegen scheint mir ein anderer Aspekt wichtig: Im Unterscheid zur ersten Einladung treffen die Boten ihre Adressaten in einer gänzlich anderen Verfassung an. Beim ersten Mal treffen sie auf Menschen, die mitten drin stecken im geschäftigen Treiben. Sie kaufen Äcker und Ochsen, gründen Familien. Ihr Leben läuft auf Hochtouren in vorgezeichneten Bahnen. Heute würde man sagen: Sie stecken in der Rush Hour des Lebens. Beim zweiten Mal treffen die Boten auf Leute, die das Leben aus der Bahn geworfen hat. Blinde und Lahme. Kranke und Arme. Hinkend und stolpernd, zerlumpt und gezeichnet machen sich auf den Weg zur reich gedeckten Tafel. Weil sie ohnehin nicht wissen, wie es weitergeht, erreicht sie die Einladung genau im richtigen Moment.

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„Wer kommt in den Himmel?“ – Liebe Gemeinde, anders, als es zunächst den Anschein hat, ist die Krise, die wir im Moment durchleben, vielleicht doch dazu geeignet ist, uns diese Frage neu bewusst zu machen.

Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich es erlebt, dass ein ganzes Land stillsteht. Niemand konnte sagen, wann und wie es weitergeht. „Wir fahren im Moment auf Sicht,“ war eine Redewendung, die ich immer wieder hörte. Zahllose Tragödien bringt diese Krise mit sich. Daran ist nichts zu beschönigen. Aber vielleicht birgt sie auch eine Chance. Die Chance zu fragen, was wirklich wichtig ist. Was trägt und was zählt, wenn es drauf ankommt. Mit dieser Frage verbindet die Bibel den Blick zum Himmel. Gott lädt uns dazu ein, unser Alltagsgeschäft immer wieder zu unterbrechen. Innezuhalten. Den Blick frei zu bekommen für seinen Himmel und seine Ewigkeit. Diese Botschaft hat Jesus in die Welt gebracht. Wann wäre ein besserer Zeitpunkt sie zu hören als heute?

„Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken,“ sagt Jesus. Selten gab es mehr Menschen, die so darauf angewiesen sind. Dass jemand kommt und ihnen die Last von den Schultern nimmt.

„Wer kommt in den Himmel?“ – Im Mund Jesu ist diese Frage keine Drohung, sondern eine Einladung an alle: „Nehmt dieses Versprechen an. Tragt es in die Welt hinein. Was immer auch geschieht. Ihr seid Geschöpfe Gottes. Er sorgt für euch. Am Ende werdet ihr Gäste sein bei seinem großen Festmahl. Der Tisch dafür ist heute schon gedeckt.“

Amen.