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Pfingstbrief an Seniorinnen und Senioren von Pastor Dr. Norbert Schwarz

„Was steht Ihr da und starrt in den Himmel?“ – reißt eine Stimme sie aus ihren Gedanken. Wehmütig blicken sie auf. Doch alles, was sie zu sehen bekommen, ist die unendlich blaue Weite. Keine Spur mehr von dem, der eben noch da war. […]

Pfingstbrief an Seniorinnen und Senioren
von Pastor Dr. Norbert Schwarz aus Celle, 31. Mai 2020

Liebe Seniorinnen und Senioren!

„Was steht Ihr da und starrt in den Himmel?“ – reißt eine Stimme sie aus ihren Gedanken. Wehmütig blicken sie auf. Doch alles, was sie zu sehen bekommen, ist die unendlich blaue Weite. Keine Spur mehr von dem, der eben noch da war. Jesus ist ihren Augen entschwunden.
Christi Himmelfahrt lenkt unseren Blick nach oben. Bei den Jüngerinnen und Jüngern hinterlässt sie eine Mischung aus Sehnsucht und Schmerz. Nach seiner Auferstehung war Jesus ihnen noch einmal nahegekommen. Zum Greifen nahe. Thomas durfte seinen Finger in seine Wundmale legen. Es war jedoch klar: Diese Zeit wird nicht von Dauer sein. Die Stunde des Abschieds wird kommen. Zwischen ihm und den Seinen. Jesus kehrt zurück zu Gott.
Der Schmerz des Abschieds ist uns heute näher denn je. Hinterm Fenster haftet ein trauriger Blick. Ihre Tochter steht unten und winkt noch einmal hoch. Dann wendet sie sich um und verschwindet Richtung Parkplatz. Viel zu kurz war diese Stunde. Näherkommen konnten sie sich nicht. Nur über die Reling des Balkons durften sie sich unterhalten. Hören, wie es den Enkeln geht.

10 Tage liegen zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. 10 Tage zwischen Abschied und Neunanfang. Im Moment des Abschiedes hätten Sie es sich nicht träumen lassen: Wie auf einmal alles in Bewegung gerät. Ihr Herz schäumt über vor Freude. Ihnen ist danach, Fenster und Türen aufzureißen. Allen, die draußen sind, wollen sie erzählen, was sie erlebt haben. Sie wollen am liebsten die ganze Welt umarmen. Die Bedrückung, die sie spürten, ist der Weitung ihres Herzens gewichen.
„Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen,“ sagte Jesus beim Abschied. Der Weg, den seine Jüngerinnen und Jünger zwischen Himmelfahrt und Pfingsten gegangen sind, zeigt uns: Aus Schmerz kann Neues entstehen. Jesus entschwindet ihren Augen. Aber er kommt ihnen auf neue Weise nahe: „Ihr, die Ihr mir jetzt nicht mehr nahe sein könnt, die Ihr mich nicht einmal mehr sehen könnt – Ihr werdet die Kraft meines Geistes empfangen. Ihr werdet für mich einstehen und ich werde bei Euch sein!“

Anstatt auf den Horizont zu starren, lenkt Jesus den Blick nach innen. Ins Herz. Dort bewahren wir alles auf, was uns lieb und teuer ist. Wie in einem Schatzkästchen. Je stiller es um uns ist, umso kostbarer die Erinnerungen. An erfüllte Momente. An Begegnungen, die uns geprägt haben. An Menschen, die wir liebgewonnen haben, oder die uns behütet haben. Im Geist sind sie lebendig. Wir können sie hervorholen und darüber staunen. Das Herz kann zum Ort werden, wo Himmel und Erde sich berühren. Wo die Mauer zwischen Vergangenheit und Gegenwart zerbricht.

„Stellen Sie sich vor, gestern war meine Tochter da,“ begrüßt die alte Dame am nächsten Morgen den Pfleger. „Sie durfte zwar nicht hinein, aber über den Balkon haben wir uns unterhalten. Meine Enkeltochter hat ihren ersten Milchzahn bekommen!“ – ein Strahlen fährt über ihr Gesicht.

„Ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen,“ sagt Jesus. Während sie sich an ihn erinnern, lodert in den Herzen seiner Jüngerinnen und Jünger das Pfingstfeuer auf. Die Hoffnung auf das Wiedersehen mit ihm verbindet sie. Und sie verbindet uns. Durch Absperrungen hindurch und über Raum und Zeit hinweg. Die Zeilen und die Melodie eines Pfingstliedes kommen mir in den Sinn:

„Zünde an dein Feuer, Herr, im Herzen mir,
hell mög‘ es brennen, lieber Heiland, dir.
Was ich bin und habe, soll dein Eigen sein.
In deine Hände schließe fest mich ein.
Quelle des Lebens und der Freude Quell,
du machst das Dunkel meiner Seele hell.
Du hörst mein Beten, hilfst aus aller Not,
Jesus, mein Heiland, mein Herr und Gott.“

Im Namen der Evangelisch-lutherischen Kirche in Celle wünsche ich Ihnen ein frohes Pfingstfest. Bleiben Sie behütet!
Es grüßt Sie herzlich, Ihr

Norbert Schwarz
Pastor im Ev.-luth. Kirchenkreis Celle