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Predigt, Sonntag Rogate, 17. Mai 2020

Gerade habe ich mich hingelegt und bin eingeschlummert. Ein langer Tag liegt hinter mir. Plötzlich reißt das
Klingeln an der Tür mich aus dem Schlaf. […]

Predigt von Pastor Norbert Schwarz
Sonntag Rogate, 17. Mai 2020, Predigttext: Lk 11,5-10

Wochenspruch

Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft, noch seine Güte von mit wendet (Psalm 66,29).

Predigttext Lk 11,5-10: Der bittende Freund

5 Und Jesus sprach zu ihnen: Wer unter euch hat einen Freund und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm:
Lieber Freund, leih mir drei Brote; 6 denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was
ich ihm vorsetzen kann, 7 und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon
zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. 8 Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf.

9 Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch
aufgetan. 10 Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.
11 Wo bittet unter euch ein Sohn den Vater um einen Fisch, und der gibt ihm statt des Fisches eine Schlange? 12 Oder
gibt ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion? 13 Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu
geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!

Predigt

Gerade habe ich mich hingelegt und bin eingeschlummert. Ein langer Tag liegt hinter mir. Plötzlich reißt das
Klingeln an der Tür mich aus dem Schlaf. Ich schrecke auf: Wer könnte das sein zu dieser Zeit? Ist gar etwas
Schlimmes passiert? Wie benommen wandle ich durch den Flur und schließe auf.
„Guten Abend. Ich habe heute Besuch. Wir sind noch nicht müde. Gerade habe ich noch eine Flasche Wein
aufgemacht, und wir wollen dazu was essen. Leider ist mein Kühlschrank leer. Können Sie mir vielleicht
aushelfen?“ – Liebe Gemeinde, wenn mein Nachbar um Mitternacht bei mir klingen und mir diese Bitte
vortragen würde – ich denke, ich wäre nicht begeistert. „Was fällt dem ein! Wegen so einer Lappalie anderen
den Schlaf rauben! Eine Unverschämtheit!“

*

In welchen Fällen ist es erlaubt, den Rhythmus des normalen Lebens zu unterbrechen? – Um diese Frage tobt
eine heftige Diskussion. Welche Unannehmlichkeiten muss man in Kauf nehmen? Welcher Verzicht ist
zumutbar? Um die Gesundheit anderer zu schützen. Wann sind Einschränkungen gerechtfertigt? Und wann
ist die Grenzen des Erträglichen überschritten?
Wie bei einer nächtlichen Ruhestörung. Jemand muss ziemlich gute Gründe haben, wenn er mich um
Mitternacht aus dem Schlaf reißt.
Andererseits: Wir kennen Situationen, in denen das unvermeidlich ist:
– Die Nachbarin steht vor der Tür. Ihr Mann krümmt sich vor Schmerzen. Er benötigt schnell einen Arzt.
– Das Baby ist noch einmal aufgewacht und schreit. Es braucht mich jetzt.
Meine Zuwendung, meinen Trost. Damit es wieder einschlafen kann.
Wenn jemand wirklich in Not ist, sind wir bereit zu helfen. Dann reagieren wir reflexhaft und stellen keine Fragen. Unannehmlichkeiten nehmen wir selbstverständlich in Kauf.

*

Die Corona-Krise hat auch vor dem Gottesdienst nicht Halt gemacht. Nichts ist mehr, wie es war. In einem Punkt kann ich dem etwas Gutes abgewinnen: Der Gottesdienst ist neu in den Blick geraten. Jahrzehntelang haben wir Gottesdienste gefeiert, ohne dass die Öffentlichkeit davon groß Notiz genommen hat. Seitdem das gottesdienstliche Leben über Wochen still liegt, wird heftig diskutiert.
Gehören Gottesdienste zu den Dingen, die unverzichtbar sind? Oder sind sie genauso zu behandeln wie andere kulturelle und sportliche Veranstaltungen? Wenn dadurch die Verbreitung des Virus vermieden werden kann, müssen wir mit Einschränkungen leben. – Die Meinungen sind kontrovers. Wie sollen wir uns als Christen zu den Maßnahmen verhalten? Sie gutheißen? Oder dagegen protestieren? Oder gibt es noch eine dritte Möglichkeit?

*

Das Thema des heutigen Sonntags ist das Gebet. Das Gebet steht im Mittelpunkt eines jeden Gottesdienstes.
Am Sonntag „Rogate!“ besinnen wir uns darauf: Wenn wir beten, sprechen wir mit Gott. Wir rufen ihn an.
Wir nehmen Kontakt auf mit ihm. Kirchen sind Orte des Gebets.

„Hier geschieht nichts anderes, als dass unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir
umgekehrt mit ihm reden durch unser Gebet und Lobgesang,“ hat Martin Luther bei der Einweihung der ersten
evangelischen Kirche gesagt.

Seine Feststellung steckt uns ein Licht auf, was jetzt zutun ist. Wie man mit den Unannehmlichkeiten umgehen kann, die das Coronavirus uns bereitet. Es gilt: Den Kontakt nicht abreißen lassen. Nicht aufhören, mit Gott zu reden. Unsere Sorgen und Nöte vor ihm ausbreiten. Ihn um Kraft und Hilfe bitten.

Beten schafft eine Verbindung über Raum und Zeit. Man kann auf sehr unterschiedliche Weise beten: Allein oder in Gemeinschaft. In der Kirche oder im stillen Kämmerlein. Wenn wir beten, verbinden wir uns mit denen, die jetzt nicht hier sein können. Es tut gut, gemeinsam zu beten. Aber Gott hört auch diejenigen, die allein sind. Immer wieder haben Menschen das erfahren: Als niemand anderes da war, haben sie mit Gott geredet und er hat sie getröstet.

„In Einsamkeit, mein Sprachgesell, in Traurigkeit mein Lachen,“ hat Paul Gerhardt über Gott gedichtet. Darum ist Beten das Gebot der Stunde. Es ist Gottes Beziehungsangebot an uns. Durch alle Kontaktbeschränkungen hindurch. Im Gebet bleiben wir verbunden. Solange wir beten, können wir viele Einschränkungen ertragen. Auf Manches verzichten, was uns lieb und teuer ist.

*

In seinem Gleichnis steckt Jesus uns noch ein weiteres Licht auf. Es handelt auch davon, wie wir beten sollen. Mit kann das ja auf ganz unterschiedliche Weise tun. Manche Gebete sind kunstvolle Poesie. Aber auch ein kurzer Stoßseufzer zum Himmel kann ein Gebet sein. Im Gebet kann ich Gott mein Leid klagen. Oder mich bedanken für das Glück, das mir widerfahren ist.

Jesus sagt: Maßgeblich für die Güte eines Gebetes ist nicht seine äußere Form. Für Gebete verteilt Gott keine Schönheitspunkte. Entscheidend ist die Dringlichkeit, mit der Menschen sich an ihn wenden.
Wer in Not ist, der soll wissen: Es gibt jemanden, an den ich mich wenden kann. Bei Gott stoßen meine Klagen nicht auf taube Ohren.

Beim Beten denken viele zuerst an eine fromme Haltung. Man setzt sich hin, faltet die Hände, schließt die Augen. Dagegen beschreibt Jesus das Beten – ganz unfromm – als unverschämtes Drängen: „Bittet, sucht,
klopft an! Macht euch bemerkbar! Verschafft Euch Gehör! Reißt Euern Freund aus dem Schlaf!“ Wenn Gott und Mensch im Gebet aufeinandertreffen, ist nicht alles Friede, Freude, Sonnenschein. Es kann sein, dass da geklagt und geschrien wird. Manchmal fliegen die Fetzen und es knallen die Türen. „Hörst Du mich denn nicht, Gott!“ „Siehst du nicht meine Not!“ „Wenn man nur einmal, zweimal klopft, überhört er es – darum: Bittet, ruft, schreit, sucht, klopft, poltert. Das muss man für und für treiben ohne aufzuhören,“ spornt Luther die Christen zum Beten an. Dann wird Gott mitten in der Nacht aufstehen wie eine Mutter, die weiß: „Mein Kind braucht mich jetzt.“

*

Wenn wir wieder lernen so zu beten, bekommen wir Klarheit über unsere Gottesdienste. Welche Bedeutung sie haben und wie wir sie jetzt feiern sollen. Nicht, weil wir einer liebgewonnenen Gewohnheit nachgehen, kommen wir zusammen. Unsere Gottesdienste müssen ein Ort sein, wo die ganze Not, die auf unserem Land und auf der Welt lastet, vor Gott kommt. Wir feiern sie nicht nur für uns selbst, sondern für alle, denen die Luft eng geworden ist und die nicht mehr ein noch aus wissen. Viele sind ratlos, haben keine Ahnung, an wen sie sich wenden sollen. Wir schließen wir uns hier mit ihnen zusammen. Wir erheben unsere Stimmen. Wir hoffen auf ein Ohr, in dem sie Gehör finden. Wir lassen uns nicht abbringen von dem, was Jesus uns versprochen und geboten hat:
„Bittet, so wird euch gegeben;
Suchet, wo werdet ihr finden;
Klopft an, so wird euch aufgetan.“
Amen.

Eine gesegnete Woche wünscht Ihnen Ihr Pastor Norbert Schwarz. Bleiben Sie behütet!